50 Shades of white

Symbolfoto Ensemblebilder in deutschen Spielstätten
Symbolfoto: Klassische Ensemblebilder von großen deutschen Spielstätten (Alle dargestellten SchauspielerInnen sind für mehr diversität im Theater. SchauspielerInnen & Fotografen unten gelistet)

Unsere Gesellschaft ist dynamisch und im ständigen Wandel. Dagegen ist unsere Hochkultur statisch, und arbeitet weiterhin mit einem veralteten Gesellschaftsbild. So kommt es, dass auf deutschen und österreichischen Bühnen hauptsächlich weiße DarstellerInnen zu sehen sind. Heute gibt es unterschiedliche Organisationen, Vereine und künstlerische Projekte, die sich für mehr Diversität auf den Bühnen einsetzen. Initiativen für mehr Vielfalt gab es nicht immer, sie sind das Ergebnis eines langen und schweren Prozesses, der noch längst nicht am Ende angekommen ist.

 

Von den Neunzigern bis zu den Zweitausendern

„In den Neunzigern war das Bewusstsein, dass bestimmte Dinge und Annahmen rassistische Konjunktionen haben, nicht vorhanden. Betroffene besaßen in diesem Sinne kein Selbstbewusstsein. Ich selbst bin erst später politisiert worden“, erinnert sich Asli Kişlal Kunstschaffende aus Wien. In den Neunzigern kam Kişlal als erste nicht-deutschsprachige Schauspielstudentin an das Wiener Franz Schubert Konservatorium. Damalige MitarbeiterInnen [vereinzelte Lehrkräfte und Dozenten] der Ausbildungsstätte, empfanden die angehende Schauspielerin als schlechte Werbung. „Die Putzfrau“ – eine andere Rolle sollte sie nicht spielen können, denn sie hätte keine europäische Körpersprache. „Ich habe gelernt, dass alle Erfahrungen die ich durch Diskriminierung gemacht habe, nicht mir als Person galten. Sondern das jede Aussage an eine ganze ethnische Gruppe gerichtet war“, so weiter Kişlal. Für sie liege das an den veralteten Sehgewohnheiten der MacherInnen und  ZuschauerInnen. Alles was aus der Norm fiel, schien irritierend für Kunstschaffende und das Theaterpublikum. „Die Zusammensetzung einer Gesellschaft hat sich schon sehr lange verändert. Wir bestehen aus vielen diversen Menschen, was das Theater aber nicht zeigt“, so Kişlal. Durch die andauernden Umstände in der Szene müssen People of Colour viele Kämpfe hinter der Bühne austragen. Anfang der Zweitausender wurde die Raumbestimmung von diversen KünstlerInnen immer präsenter. Auf den Bühnen waren plötzlich People of Colour vertreten. Allerdings nur als GastschauspielerInnen, und Repräsentant für eine bestimmte Gruppe. Kişlal sieht den Grund dafür in den Stücken, die auf den Bühnen inszeniert werden. Es ist der Stoff aus den Zeiten einer vergangenen Welt. Ein Werk kann alt sein, doch muss es durch die Augen der heutigen Gesellschaft gelesen werden. Theater ist ein kritisierender Ort und dokumentiert durch seine Arbeit die Geschehnisse in der Welt. Trotzdem werden rassistische Inhalte aus früheren Werken beibehalten. Es existiert eine Scheu bekannte Stücke auf den Neusten Stand zu bringen. Texte und Inszenierungen werden als heilig angesehen, aus der Angst ein Kulturgut verlieren zu können. Für Kişlal ist das eine Absurdität und passt nicht zu einer kritischen Spielstätte, die jede Veränderung aufnehmen und darstellen sollte.

Der Schmerz der Verantwortung

„Ich kann mich an ein Gespräch mit einem großen Intendanten erinnern. Er meinte, wenn die Leute etwas zu sehen bekommen, woran sie nicht gewöhnt sind, verliere er seine Abonnements“. Ein weiterer Punkt der der Kunstschaffenden in den Jahren aufgefallen ist – die Schuldverschiebung von Theatern. Es seien die anderen, das Publikum, die Gesellschaft, die Politik, weshalb ein Theater nicht mehr Diversität bieten kann. „Das ist das größte Problem im Theater. Sie als Theater plädieren ständig auf einer Bühne von einer offenen Gesellschaft. Sie analysieren und kritisieren die Welt. All die Stoffe die sie zeigen, stellen eine Kritik an einer nicht funktionierenden Gesellschaft da. Aber hinter der Bühne, in den Entscheidungsprozessen, machen sie genau das Gleiche“.

Ob Schauspielschule oder Theater, bei der Frage weshalb kaum People of Colour Teil des Ensembles sind, kommt häufig dieselbe Antwort. Es seien zu wenige BewerberInnen. „Ich finde es eine lächerliche Aussage, dass sich zu wenige diverse bewerben. Bei meiner Schauspielschule muss ich ständig Bewerbern absagen. Zu viele wollen bei uns studieren“, meint Asli Kişlal, die 2013 die Ausbildungsstätte diverCITYLAB gegründet hat. „Wenn ich als Kind Diversität auf der Bühne sehe, dann weiß ich, dass es auch für mich möglich ist dann kann ich Anfangen zu Träumen. Wird nur eine glatte, einseitige Gesellschaft auf der Bühne gezeigt, und man wächst als Kind so auf, dann denkst du auch, 'das' gehört dahin aber ich nicht“.

Auf die Kritik, warum es an Spielstätten wenig Schwarze SchauspielerInnen und SchauspielerInnen of Color gibt sagen die Spielstätten, dass es zu wenig BewerberInnen an den Schauspielschulen gäbe, was an fehlender Chancengleichheit liege. Zugleich wird die Durchsetzung der Chancengleichheit nicht bei sich selbst verortet. Golschan Ahmad Haschemi – Kulturwissenschaftlerin, Performerin und Bildungsreferentin, arbeitet gegen Rassismus und Antisemitismus in deutschen Kulturorten. „Es ist schwach sich auf die Chancengleichheit zu beziehen, und die  eigene Verantwortung da rauszunehmen. Ein Theater ist dafür verantwortlich, ob sich People of Colour bei ihnen bewerben oder nicht“. Auf den Webseiten von Schulen und Spielstätten werden Partnerschaften mit Vereinen gelistet, die für mehr Vielfalt sorgen sollen. Für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, bedeutet es nicht automatisch Sicherheit, wenn Theater bei Initiativen wie „München, Frankfurt oder … ist bunt“ mitmachen. Nicht wegen der Initiativen, sondern  weil sich dann dahinter versteckt werden kann. „Wir sind doch schon bei ‚Die Vielen‘“ ist oft die Reaktion auf die Konfrontation mit rassistischen Vorfällen am eigenen Haus. Begründungen wie diese, so Ahmad Haschemi, sorgen mehr für den Erhalt einer positiven Außenwirkung als um die wirkliche und oft schmerzhafte Auseinandersetzung mit den hauseigenen Strukturen und Verantwortungen. „Strukturelle Veränderungen werden so lange nicht funktionieren, solange die Aushandlung dieser Themen weiterhin nur auf den Rücken derjenigen ausgetragen wird, die davon betroffen sind.“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin. Damit sich etwas verändert und die Verantwortung strukturellen Wandels dort implementiert wird, wo sie verbindlich umgesetzt werden muss, entwickelte die Regisseurin Julia Wissert gemeinsam mit der Rechtsanwältin und Dramaturgin Sonja Laaser eine Anti-Rassismus-Klausel. Seit 2019 arbeitet auch Ahmad Haschemi mit ihnen an deren Weiterentwicklung. Die Anti-Rassismus-Klausel kann von jeder kunstschaffenden Person in ihrem Arbeitsvertrag vorgebracht werden. Ob die Klausel letzten Endes in den Vertrag aufgenommen wird, entscheidet die Spielstätte. Wurde das getan, und sollte sich ein Vorfall ereignen, so muss dieser gemeldet werden und das Theater ist verpflichtet zu handeln. Die Konsequenzen sind ein Workshop für die MitarbeiterInnen oder, wenn von der von Rassismus betroffener Person gewünscht, eine Meditation zwischen den Betroffenen. Sollte das Theater dem nicht nachkommen, so hat die von Rassismus betroffene Person, je nach Ausgestalltung der Klausel, ein besonderes Kündigungsrecht. In der Vergangenheit gab es unterschiedliche Reaktionen auf die Klausel. Es gab Theater, die sich geweigert haben. Der Vertragszusatz erschien als Kränkung oder sie fühlten sich an den Pranger gestellt. Aber es kamen auch positive Reaktionen aus der Kunstszene. Spielstätten entwickelten ihre eigene Anti-Rassismus-Klausel, oftmals in Zusammenarbeit mit Sonja Laaser und setzten sie als festen Bestandteil in die Verträge ein.

People of Colour stehen auf der Bühne, wenn die Thematik es zulässt

Wird ein_e Schwarze_r SchauspielerIn oder ein_e SchauspielerIn of Colour für eine Rolle engagiert, dann oft weil ihr Äußeres vermeintlich thematisch passe. Diese Stücke handeln häufig von Migration, Rassismus oder Antisemitismus. „Das Weiße wird weiterhin als das Neutrale, Unmarkierte gesehen. Es ist etwas, was man bespielen kann. Wenn du of Colour bist, dann bist du schon markiert und kannst nicht mehr universell besetzt werden das ist oftmals die Logik an Theatern und auf Schauspielschulen“, so Golschan Ahmad Haschemi. Auch Asli Kişlal findet diese Art Rollen zu besetzen nicht mehr zeitgemäß. Sie spricht immer wieder von einer diversen Gesellschaft, die auf den Bühnen nicht existiert. Kişlal meint, es wird Zeit die MacherInnen neu zu erziehen, was das Erzählen von Geschichten betrifft. Man müsse ihnen neue Blickwinkel aufzeigen. So würden sie lernen, wie ein Ensemble und eine Geschichte ebenfalls funktioniert. „Ich kann auf der Bühne ‚Tisch‘ spielen, und wenn ich es gut Spiele kommt es niemanden komisch vor mich als ‚Tisch‘ zu besetzen. Aber mich als ‚Susanne‘ zu besetzen, da kriegen sie Panik und das kommt nicht zusammen. Es gibt keine Literatur, die nicht mit jedem gespielt werden kann Punkt“, meint Kişlal. 

Kunst hat ihren Preis

Deutschland gehört zu den Ländern, die viel in ihre Kunst und Kultur investieren. So geht mehr als die Hälfte der Fördergelder an sogenannte Hochkultureinrichtungen, obwohl nur zehn Prozent der deutschen Bevölkerung diese besuchen. Das erzählte die Professorin für Kulturvermittlung Birgit Mandel dem Goethe Institut bereits im Jahr 2018. Ein Artikel der deutlich aufzeigt, dass das Konzept der „Hochkultur“ beiträgt zu einer Klassen- und Parallelgesellschaft. Denn Spielstätten, die zur Hochkultur gehören orientieren sich an Bedürfnissen einer bestimmten Zielgruppe, und nicht nach allen Bedürfnissen. Diese Zielgruppe besteht häufig aus Menschen höherer Gesellschaftsschichten, die einen gewissen Bildungsgrad und Herkunft aufweisen. „Ist es gerechtfertigt, dass mehr als die Hälfte des Etats in Kunst- und Theaterinstitutionen fließt, die nur von einem Bruchteil der Gesellschaft besucht werden?“ eine Frage, die sich Ahmad Haschemi stellt. Theater sollten Programme und Angebote so entwickeln, dass sie die Gesamtgesellschaft adressieren. Schon 2018 sprach Mandel von der verschwindenden Relevanz unserer klassischen Hochkultur in Deutschland. Das Konzept der klassischen Hochkultur gehört für viele Kunstschaffende überarbeitet, durch Aufbereitung von Inzenierungen, die mehrere Belange decken.

Kişlal bemerkt aber das bereits eine Veränderung in der Wahrnehmung von Literatur stattfindet. Es wird mehr hinterfragt, Bezeichnungen verlieren allmählich ihre Gültigkeit. „Es ist Zeit zu denken, zum Hinterfragen, zum Ver- und Neulernen. Dabei soll man auch Spaß haben, statt Angst davor zu haben etwas zu verlieren. Denn die Zeit verändert sich und wir müssen uns auch ändern. Es wäre schade, wenn wir keine Entwicklung haben können, weil wir an der Kunst des letzten Jahrhunderts kleben“.

 

 Danke an Asli Kişlal und Golschan Ahmad Haschemi für die schönen Interviews.

Weitere Informationen zur Anti-Rassismus-Klausel

Einen großen Dank an alle DarstellerInnen, die mir ihre Fotos zur Verfügung gestellt haben:

(oben links) Foto: Fabian Steppan, Darsteller: Andreas Hajdusic  

(oben mitte) Foto: Robert Banfic, Darstellerin: Carmen Jahrstorfer 

(oben rechts) Foto und Darsteller: Raphael Stompe

(unten  links) Darsteller: Stefan Job

(unten mitte) Foto: Andrea Peller, Darstellerin: Emilia Lietz 

(unten rechts) Foto: Christoph M. Bieber, Darstellerin: Liliane Zillner


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