2020 und die Wissenschaft

Molekularbiologe Martin Moder, Foto:© Ingo Pertramer 

 

Wissenschaft bekam durch die anhaltende Corona-Pandemie einen enormen Aufmerksamkeitsschub in der Bevölkerung. Es wurde deutlich, wie wichtig wissenschaftliche Beratung in der Politik und Gesellschaft ist. Allerdings gibt es viele Stolpersteine in der Wissenschaftskommunikation und beim  Verständnis für Wissenschaft. Martin Moder ist  Molekularbiologe und Mitglied der Kabarettgruppe Science Busters aus Österreich. Gemeinsam mit seinen sechs Kolleg:innen betreibt Moder regelmäßig Wissenschaftskommunikation auf unterschiedlichen Plattformen. „Die Wissenschaft selbst sagt nicht, was zu tun ist, sondern zeigt nur auf, wie sich Dinge verhalten und entwickeln“, erklärt Moder. Die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse dient dazu, Beratung und Orientierung für Politiker:innen und Bevölkerung anzubieten. Doch was passiert, wenn wissenschaftliche Ergebnisse nicht oder nur unzureichend erklärt werden? Die Entstehung der Querdenker-Bewegung in Deutschland ist ein Beispiel für die Folgen von vernachlässigter und unzureichender Wissenschaftskommunikation.

Kommunikation und die Wissenschaft

„Es braucht nicht mehr Wissenschaftskommunikation, sondern bessere“, steht für den Molekularbiologen fest. Die Bedeutung komplexer Sachverhalte für die Allgemeinheit verständlich darzustellen, ist nicht jedem gegeben. Es sind Kenntnisse aus den Kommunikations- und Informationswissenschaften nötig, um zu verstehen, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Viele Wissenschaftler:innen würden ihr Fachwissen auch gerne selbst in die Welt tragen, allerdings sind deren Forschungen meist so kosten- und zeitintensiv, dass sie dafür keine Kapazitäten mehr haben. Wissenschaftler:innen, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben möchten, müssten Schulungen und Fortbildungen durchlaufen, um zu lernen, wie komplexe Themen in einfacher Sprache mitgeteilt werden können. Wissenschaftliche Erkenntnisse für den Durchschnittsbürger verständlich aufbereiten zu können, sollten durch den Staat und die Wissenschaftsinstitute für Wissenschaftler:innen ermöglicht werden. Wichtig ist, dass die von Wissenschaftler:innen betriebene Kommunikation keinen negativen Einfluss auf deren Forschungen haben darf, wie es bei Virologen Hendrik Streek der Fall ist.

Ein weiteres Problem sind Expert:innen, die wirre Thesen verbreiten, die nicht dem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens entsprechen, sogenannte Wissenschaftler:innen auf Abwegen. „Es hat sich für mich herauskristallisiert, dass gerade die Außenseitermeinungen, die dem Konsens widersprechen, häufig die sind, die auf besonders großes Interesse stoßen“, so Moder über den pensionierten Arzt Sucharit Bhakdi, der mit seinem Buch „Corona Fehlalarm?“ viel Aufmerksamkeit erregt hat. In solchen Fällen müssten Kommunikations- und Medienorgane die Verantwortung übernehmen. Statt Außenseitermeinungen Raum zu geben, wäre es nötig, über die umstrittenen Thesen und den Wahrheitsgehalt der Aussagen zu informieren und aufzuklären. Stattdessen spezialisieren sich Fernsehsender, wie ServusTV, aufgrund der hohen Zuschauerzahlen auf solche Meinungen. So wird ein Bild erzeugt als gäbe es in der Wissenschaft Meinungen und Ansichten, und keine wirklichen Erkenntnisse und Expertisen.

Letztendlich muss jedoch immer die Politik die Verantwortung dafür übernehmen,
wie wissenschaftliche Erkenntnisse in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, was dann in der Bevölkerung oft auf Unverständnis trifft.

Politik und die Wissenschaft

„Was gute Politik macht, ist, dass sie das, was in der Wissenschaft Konsens ist, ernst nimmt und was schlechte Politik macht ist, dass sie gezielt nach Außenseitermeinungen sucht und behauptet, es handle sich dabei um gleichwertige Positionen“, so Moder. Wissenschaftler:innen beraten Politiker:innen, indem sie ihre Erkenntnisse aufbereiten und mögliche Szenarien entwerfen. Die Entscheidungen über daraus resultierende Gesetze und praktisches Handeln tragen immer die Politiker:innen, deren Aufgabe es wiederum ist, für das Wohl der Bevölkerung zu sorgen.

Außerhalb einer akuten Pandemie liegen wissenschaftliche Belange häufig in der Zukunft. Die Klimakrise ist ein gern genutztes Beispiel. Zwar sind bereits heute Folgen der Klimakrise zu spüren, doch das gesamte Ausmaß der Auswirkungen der Klimaerwärmung wird erst in der Zukunft sichtbar sein. „Politiker:innen handeln nach den Wünschen der Bürger:innen. Es bräuchte also von den Bürger:innen so viel Voraussicht, viel Geld für etwas ausgeben zu wollen, das ihnen zwar mitunter selber nützt, vor allem aber den nachfolgenden Generationen“, stellt Martin Moder klar. Das benötigte Geld würde in Forschung, Technologien und in die Umstellungen von Betrieben fließen. Die Klimakrise ist zwar ein wichtiges Thema, doch für die meisten Bürger:innen gibt es dringendere Probleme. Die  Liebe zum Planeten führt am Ende eben doch nicht dazu, dass Miete und Essen bezahlt werden können. Pandemien wie diese zeigen uns, wie wichtig es ist, Bewusstseinsbildung zu betreiben.

Gesellschaft und Wissenschaft

Fehlende Bewusstseinsbildung führt dazu, dass sich die Gesellschaft in mehrere Lager spaltet. Es gibt in der Coronakrise die unterschiedlichsten Arten von Leugner:innen und Befürworter:innen. Corona zwingt auch Kanzlerin Merkel dazu, durch Reden und Appelle verstärkt Bewusstseinsbildung zu betreiben. Etwas, das sich viele Bürger:innen vielleicht auch schon bei anderen Themen gewünscht hätten. Trotzdem hat man den Anschein, dass diese Art der Kommunikation nicht tiefer in der Politik verankert wird, obwohl sich durch bewusstseinsbildende Maßnahmen falsche Beobachtungen über bestehende Umstände korrigieren lassen könnten und  ein gewisses Verständnis in der Bevölkerung geschaffen werden kann.

Moder stellt fest, dass ein Problem in der Wahrnehmung von wissenschaftlichem Arbeiten besteht. Wissenschaftler:innen sind keine Interessensgruppen, die eine fixe Position vertritt. Wissenschaft ist eine immer wieder neu entstehende Momentaufnahme von Wissensständen und Erkenntnissen. Durch gesammelte Daten können Thesen aufgestellt werden, die experimentell getestet werden. Sollte sich eine These nicht bestätigen lassen, wird sie verworfen. Wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen durch Forschen und Ausprobieren. So musste die Sinnhaftigkeit einer Maskenpflicht erst getestet werden, um zu sehen, welchen Nutzen sie bringt.

Hat man nicht ständig mit Wissenschaft zu tun, kann dieser Prozess des Erkenntnisgewinns verunsichernd wirken. wir sollten lernen, mit Unwissenheit und Veränderungen umzugehen. Um die Arbeit von Wissenschaftler:innen besser zu verstehen, sollte der Weg zur Erkenntnis und der damit verbundene Arbeitsaufwand mehr hervorgehoben werden.

Das fehlende Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten zeigte sich auch immer wieder beim Deuten der grafischen Darstellungen von Daten. „Es ist schon witzig, viele rühmen sich damit, in der Schule schlecht in Mathe gewesen zu sein und tun jetzt so als hätten sie ein besseres Verständnis von exponentiellem Wachstum als die Leute, die seit 30 Jahren damit arbeiten“. Um das Phänomen deutlicher zu machen, benutzt der Molekularbiologe Moder das Beispiel eines defekten Computerbildschirms. Geht der Bildschirm kaputt, werde ein Fachmann aufgesucht um ihn reparieren zu lassen. Der Besitzer geht mit dem Schaden zu einem Experten, weil ihm bewusst sei, nicht genug Wissen über Computertechnik zu haben. „Jetzt ist aber Virologie und Epidemiologie so viel komplizierter als ein Computerbildschirm und aus Gründen, die mir noch unbekannt sind, haben viele den Eindruck, in diesem Feld wären sie den Expert:innen überlegen. Bei einer Pandemie würden sie es sich viel eher zutrauen, richtige Entscheidungen zu treffen. Während sie, wenn ich ihnen einen defekten Computerbildschirm hinstelle, dieses Vertrauen nicht hätten. Ich weiß nicht warum das so ist, aber ich glaube, dass wenn man sehr wenig über eine Sache weiß, einem nicht bewusst ist, wie kompliziert die Sache eigentlich ist“.

Zukunft und die Wissenschaft

Die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek möchte den Austausch zwischen Wissenschaftler:innen und der Gesellschaft stärken. Kommunikation soll zu einem festen Bestandteil von Wissenschaft werden. Damit das gelingt und alle Facetten beachtet werden, wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung die #FactoryWisskomm – Denkfabrik ins Leben gerufen. Es soll ein Prozess gestartet werden, der die Zukunft von Wissenschaftskommunikation  gestaltet. Am Prozess beteiligt sind die wichtigsten Vertreter:innen aus  Wissenschaft und Wissenschaftsjournalismus. In sechs verschiedenen Arbeitsgruppen werden Themen rund um die Wissenschaftskommunikation bearbeitet. Ziel ist es, die Wissenschaft in der Gesellschaft mittels Dialog zu verankern. Wissenschaftler:innen, die Wissenschaftskommunikation betreiben, sollen dafür die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen und auch Anerkennung dafür erhalten. Dies könnte eine aktive Strategie gegen die Verbreitung von pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen und verdrehten Fakten sein. Auch wenn die Wissenschaftskommunikation in Zukunft besser werden und eine größere Rolle in der Ausbildung von Wissenschaftler:innen einnehmen soll, ist bereits ein nicht wieder gut zu machender Schaden in der Gesellschaft entstanden. Die Corona-Pandemie hat die Spaltung innerhalb der Gesellschaft deutlich ans Licht gebracht und verstärkt.  #FactoryWisskomm ist deshalb ein richtiger Schritt, der aber viel zu spät kommt.


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