Neutralität im Kulturjournalismus

Foto: Waage als Symbol von Gerechtigkeit und Neutralität

Kulturjournalismus gehört zum allgemeinen Journalismus und hält sich an dieselben publizistischen Leitlinien wie andere „Subformen“ auch. Zu den ethischen Grundsätzen gehört die sachgerechte, unabhängige und vielfältige Berichterstattung. Um diese journalistischen Pflichten in der erforderlichen Qualität erfüllen zu können, benötigt der Journalist Sachkenntnisse und Kompetenz. Unabhängig bedeutet auch unvoreingenommen, sachgerecht bedeutet auch sachlich zu berichten. Wörter, die im Duden als Synonyme für Neutralität zu finden sind. Ergo spielt vor allem das vorurteilsfreie Herangehen an die journalistische Arbeit eine große Rolle.


Doch wie ist das möglich in der Sparte Kunst und Kultur? Der bekannte und mit dem Alexander-Zinn-Preis ausgezeichnete Kulturjournalist Manfred Eichel ist der Meinung, dass Neutralität im Kultursektor nicht existiert.„Ich bin immer engagiert, immer betroffen – oder auch nicht. Oder auch mal weniger“, so Eichel. „Ein guter Kulturjournalist wird im Laufe seiner Arbeit automatisch immer kompetenter. Weil er immer begründeter vergleichen und damit bewerten kann. Und man lernt, damit zu leben, dass andere, auch intelligente Kolleginnen und Kollegen, durchaus andere Meinungen haben können. Wie gesagt, alle Urteile sind subjektiv.“ Möchte das Publikum eine Meinung hören und eine Empfehlung bekommen?
Für Manfred Eichel steht fest, ja, das möchte es, „aber bitte nie (!) apodiktisch. Der „Kunde“ soll seine eigene Meinung, vielleicht auch sein Vorurteil, behalten, im Idealfall überdenken können. Aber er darf nie das Gefühl haben, ein Idiot zu sein, wenn er beim „Kulturkonsum“ etwas anderes empfindet als der Rezensent.“

Unter Journalisten und Künstlern ist allgemein bekannt, dass Neutralität nicht existiert. Für die Zielgruppe sind Meinungen und Empfehlungen vielleicht spannend, doch für die Künstler bedeutet es, unaufhörlich um Anerkennung kämpfen zu müssen und um einen sachgerechten Umgang mit ihren Werken. Derya Kaptan ist Mitgründerin und Gesellschafterin von CrossArts Cologne und als künstlerische Leitung und Projektmanagerin aktiv. Sie beobachtet es täglich aus der Künstlerperspektive, wie die Medien mit Kunst umgehen. Ihr ist bewusst, wie schwer es ist, neutral an etwas zu arbeiten „Unbewusst sind Empfindungen und Erfahrungen vorhanden“, so Kaptan. „Wertschätzung“ ist die Empfindung, die sie hat, wenn etwas über ihr Werk veröffentlicht wird. Ein Gefühl der Anerkennung, das jeder gerne für seine Arbeit bekommen würde. Doch welche Voraussetzungen sollte ein Kritiker mitbringen, um entscheiden zu können, was gut oder schlecht ist? Eine Frage, die sie sich ebenfalls gestellt hat. “Woran macht man das fest als Kritiker, welche Standards sind zur Orientierung da? Die Person des Kritikers braucht ein breites Wissen und viel Erfahrung, aber sie sollte auch in der Materie selbst tätig sein, und das ist leider oft nicht der Fall. In einem Magazin über Medizin, schreibt ja auch keiner, der nicht Medizin studiert hat. Bei einer Beurteilung spielt auch die persönliche Art, Ästhetik wahrzunehmen, eine Rolle.“ 

Massentauglichkeit und das lineare Fernsehen 

Kulturjournalismus findet nicht nur in der Zeitung statt, sondern auch im Fernsehen, wie bei Manfred Eichel. Jahrzehntelang war Eichel beim ARD und ZDF tätig. Wichtig war ihm dabei eines: „Entdecken ganz frischer, noch weitgehend unbekannter Kreativer! Die sollte man in gleicher Länge wie die Altmeister vorstellen, also schon rein formal auf Augenhöhe.“
Ein gut gemeinter Ansatz, doch auch er hat nach seinem Ermessen selektiert. “Da ich persönlich, als Moderator von „Kultur aktuell“ (100.000 Zuschauer auf NDR 3) oder „aspekte“ (eine Million Zuschauer im ZDF), nur relativ wenig Sendezeiten hatte, habe ich meine Abneigung gegen bestimmte Künstlerinnen und Künstler für mich selbst darin ausgedrückt, dass sie in meinen Sendungen nicht vorkamen. Meine Sendezeit war mir für Verrisse zu schade – zumal mir bewusst war, dass ich im Massenmedium Fernsehen durch ein selbst vorsichtiges Distanzieren, jungen Talenten sehr schaden würde. Aber ich habe viele andere gefördert und vielleicht auch bekannt gemacht. Weil meine Mitarbeiter und ich meistens einen guten Riecher hatten.“ Manfred Eichel spricht hier vom Massenmedium Fernsehen - schafft es nur Kunst ins Fernsehen die für die Masse tauglich ist? Ein Eindruck, den Kaptan hat. „Ist es nicht für die Masse, so verstehen es viele nicht. Die Zuschauer verstehen nicht, wie viel Aufwand dahintersteckt. Arte, zum Beispiel, hat spezifische, nicht massentaugliche Kunst in der Mediathek und nicht im linearen Fernsehen.“
 

Trennung zwischen Kunst und Kunstschaffenden 

In Kultursendungen wird die Kunst häufig nicht getrennt von der Person des Künstlers betrachtet. Die Kunst steht selten allein da, die Geschichte und der Charakter des Künstlers werden mitbeleuchtet und öffentlich gemacht. Ist diese Vorgehensweise richtig und ist ein Kunstwerk mit dem Schaffenden gleichzustellen? „Nein, sonst ist es nur eine ganze Einheit.“, erklärt Kaptan. „Ein Künstler geht auch durch unterschiedliche Lebensphasen. Die Biografie ist interessant, um das Werk zu verstehen, aber um über das Werk zu berichten, ist es nicht nötig, die Person in den Vordergrund zu stellen. Viele bringen das aber zusammen, ich selbst entkopple die Musiktechnik vom Künstler.“ Durch das Zusammendenken von Kunst und Künstler können auch Abneigungen den Werken gegenüber entstehen, die mit dem Werk selbst nichts zu tun haben. Diese Missachtung des Kunstwerks kann dann entstehen, wenn die Person, die hinter der Arbeit steckt, dem jeweiligen Betrachter unsympathisch erscheint. In Bereichen außerhalb der Kunst wird auf die Leistung eines Menschen geschaut - in der Kunst oft auf den Menschen selbst. Es gibt Subjektivität in Kultursendungen und dieses Problem sollte angegangen und gelöst werden. Doch wie kann man für mehr Fair Play sorgen? Für Derya Kaptan wäre es schön, wenn noch mehr Nachwuchskünstler in der Öffentlichkeit präsentiert würden. Aber auch mehr Neutralität ist ein großer Wunsch von ihr. Das Wohl des Künstlers solle im Vordergrund stehen und es müsse ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, was Kritik bewirken könne. Zukünftigen Journalisten müsse man dies ebenfalls nahebringen, da diese später Meinungen kreieren. Außerdem sollten Kritiker nicht nur theoretisches Wissen haben, sondern auch praktische Erfahrung in der Materie. 

Ein Bericht sollte immer beide Seiten beleuchten, sowohl die negative als auch die positive.  Um als Journalist die Distanz zum Thema zu bewahren und das Publikum selbst entscheiden zu lassen, ist eine Gegenüberstellung und Abwägung der unterschiedlichen Aspekte eine Notwendigkeit. In der Kunst sollte nicht nur das fertige Werk geschätzt werden, sondern auch die Arbeit und der Prozess, der dahintersteckt. Erst wenn alle Facetten beleuchtet worden sind, kann eine sachliche Beurteilung stattfinden. Wichtig ist hierbei, dass der Verfasser der Kritik sein Handwerk erlernt hat. Als Zuschauer sollte man sich den Zauber durch zu viel Vorwissen nicht nehmen lassen. Während der Zeit des Betrachtens sollte eine Abkoppelung von Theorie und Praxis erfolgen, beim Schreiben darüber sollten die beiden Aspekte allerdings wieder miteinander in Verbindung gebracht werden.

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