True Crime - Teil 1: Ein gefährlicher Hype
True Crime ist ein Genre, das
sich mit wahren Verbrechen und deren Hintergründen beschäftigt. Dieses Genre
findet nicht allein in den Printmedien statt, sondern ist auch in den
audio-visuellen Medien stark vertreten. Größere Publikationsorgane investieren
viel in ihre True-Crime-Angebote, denn das Publikum wächst stetig. Dabei
entsteht das Gefühl, dass ein Bewusstsein bei den Konsumenten, wie auch bei den
Schaffenden, teilweise fehlt – denn hinter jedem Fall stecken echte Menschen,
mit echten Emotionen.
Dieser Artikel wurde in zwei
Teile aufgeteilt.
In der ersten Hälfte kommt ein
Opfer zu Wort und spricht über ihre Meinung zu True Crime und welche Erfahrung
sie mit den Medien gemacht hat. Die Betroffene und ihr Schicksal bleiben dabei
anonym.
Im zweiten Teil spricht die bekannte Kriminalpsychologin Lydia Benecke über ihre Ansicht zu True Crime. Sie arbeitet mit Täter, schreibt Bücher und hält Vorträge. Daher bekommt Benecke beide Seiten des True-Crime-Hypes mit und kann Informationen darüber geben, wie sich Täter durch die Berichterstattung fühlen und welche Rolle sie im True-Crime-Hype spielt. Der Leser erhält dadurch vielleicht auch eine oder mehrere Antworten, auf die Fragen, die im ersten Teil aufkommen könnten.
Im zweiten Teil spricht die bekannte Kriminalpsychologin Lydia Benecke über ihre Ansicht zu True Crime. Sie arbeitet mit Täter, schreibt Bücher und hält Vorträge. Daher bekommt Benecke beide Seiten des True-Crime-Hypes mit und kann Informationen darüber geben, wie sich Täter durch die Berichterstattung fühlen und welche Rolle sie im True-Crime-Hype spielt. Der Leser erhält dadurch vielleicht auch eine oder mehrere Antworten, auf die Fragen, die im ersten Teil aufkommen könnten.
Teil 1
„Meinen Fall durfte ich mir schon in drei
verschiedenen Podcasts anhören.“
Was ist ihre persönliche Meinung
zu True Crime und deren Konsumenten?
Meine Meinung ist etwas
voreingenommen, ich persönlich halte nicht viel davon. Das hängt auch damit
zusammen, dass ich wenig Gutes von den ganzen True-Crime-Geschichten gehört
habe. Ich finde, dass die meisten sehr reißerisch sind, sensationsgeil, und für
meinen Geschmack, in den meisten Fällen, schlecht recherchiert. Sie greifen
viele Sachen auf, die irgendwo in einer Bild- oder Express-Zeitung standen, mit
dem Fall an sich selbst aber nichts tun haben.
Was deren Konsumenten angeht -
ich habe im Freundeskreis viele, die sich das anhören - deren Meinung ist, dass das alles so
unwirklich und deshalb interessant ist, sich damit auseinander zu setzen. Die
Frage ist, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass so viele Leute sich das
anhören. Die einen sehen es als Information an - was für Fälle es gibt, die
Hintergründe, wie werden diese abgewickelt - aber viele nutzen es auch zur
Unterhaltung.
Außerhalb der normalen
Berichterstattung gibt es viele True-Crime-Formate die unterschiedlich Fälle
wiedergeben, wie Zeitschriften oder Podcasts.
Ist jede Darstellungsform und Veröffentlichung Problematisch?
Das Wichtigste wäre, sich mehr
auf die Fakten zu konzentrieren. In fast jeder Berichterstattung geht es nur darum, wie genau ein Opfer zu
Tode gekommen ist: Wo kam das Opfer her, hatte das Opfer 30 oder 10 Messerstiche...? So etwas wird immer
so detailreich dargestellt. Ich finde, man vergisst schnell, dass es fast etwas
Alltägliches ist. So viele Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr durch
Tötungsdelikte, durch Streitigkeiten. Viele vergessen, dass so etwas auch im
Affekt passieren kann. Durch diese ganzen True-Crime-Geschichten wird das nicht
weniger problematisch, weil alle denken es sei so weit weg. Aber macht sich jemand
mal wirklich Gedanken darüber, dass eine Streitsituation auch tödlich enden
kann? Wenn man an den Fall Tuğçe denkt; das war zunächst auch nur eine harmlose
Streitsituation. Man ist geschubst worden, man ist geschlagen worden und das
war's. Darüber machen sich nur wenige Gedanken. Meistens sucht man sich das
raus, was groß in der Presse war. Viele Fälle sind so lange in den Medien
gewesen, dass nur die Erwähnung des Namens ausreicht und jeder weiß, um wen es
geht. Die wenigsten True-Crime-Podcasts erwähnen, wie viele Tötungsdelikte es
im Jahr gibt und wie viele Täter inhaftiert oder erfolgreich resozialisiert
wurden.
Welchen Umgang durch die
Medien und True-Crime-Formaten, haben sie erfahren?
Meinen Fall durfte ich mir schon
in drei verschiedenen Podcasts anhören.
Die Darstellungen sind meistens
sehr ähnlich, aber sie unterscheiden sich auch immer wieder. Jeder erzählt die
Geschichte anders, jeder betont andere Dinge. Gerade bei den Podcasts hat man
nicht die Möglichkeit, mit Bildern zu arbeiten, da wird auf die Stimmung
geachtet.
Bei mir ist es so, dass es mir
entweder Freunde erzählen oder ich per Zufall selbst in meinen Fall
reinstolpere – wie vor Kurzem, über einen Podcast, den ich intensiver höre. Es
werden so viele Unwahrheiten erzählt, es werden Sachen beschrieben, die nicht
stimmen. Keine Ahnung, woher man die bekommt. Ich frage mich, ob das generell
so gemacht wird, weil es besser klingt, oder ob die Verfasser das wirklich in
einer Zeitung gelesen haben. Es ist schwierig, die Waage zu halten zwischen
dem, was wirklich wahr ist und dem, was man einfach dazu erfindet.
Was ist das für ein Gefühl,
wenn man plötzlich seine Geschichte hört, von jemanden anderem erzählt?
Es ist ziemlich beschissen, und
am liebsten würde ich demjenigen schreiben und fragen, was ihn beeinflusst, so
etwas überhaupt zu machen. Ich finde es grenzwertig, über Fälle zu berichten,
von denen Opfer, beziehungsweise Angehörige, betroffen sind. Jeder Angehörige
kann das anhören, und wenn man dann noch seine persönliche Meinung darüber
abgibt, ist das grenzwertig, weil die Menschen diese persönliche Meinung hören
und sich so fühlen, als würden sie schon wieder an den Pranger gestellt werden.
Ich selbst fühle mich total unwohl dabei und höre super ungerne etwas über
meinen Fall in solch einem Format. Ich ärgere mich auch jedes Mal darüber. Am
meisten ärgere ich mich, dass die Informationen aus irgendwelchen
Klatschzeitschriften stammen und die Person, die berichtet, sich viel zu wenig
damit beschäftigt hat. „Zeit Verbrechen“ ist davon ausgenommen. Die machen das
wirklich gut – aber das sind mit Abstand die Einzigen.
Wieso konsumieren sie selbst
auch True-Crime-Formate?
Ich höre mir keine Folgen an, die
sich mit innerfamiliären Tötungsdelikten beschäftigen, davon distanziere ich
mich sofort. Mich persönlich interessiert das Strafmaß. Für mich sind die
Urteilsbegründungen das Spannende. Es gibt so viele Möglichkeiten und Aussagen
darüber, weshalb es Mord war und was ein Mordmerkmal ist. Ich glaube, man
versucht, ein bisschen von seinem eigenen Fall zu reflektieren und sich zu
überlegen, wie ein Mordmerkmal aussieht und wie nicht. Man reflektiert und
versucht, Zusammenhänge zu erkennen oder auf irgendeine Art und Weise ein
Verständnis dafür aufzubauen, wieso es zu keinem harten Urteil kam. Mein Vater
zum Beispiel, hat nur 8 Jahre bekommen.
Das ist für mich persönlich nie viel gewesen. Wenn man bedenkt, dass man mit
guter Führung schon nach einem Drittel oder der Hälfte wieder raus ist. Deshalb
interessiert mich, wie es in anderen Fällen vonstattengeht.
Beeinflusst
die ständige Berichterstattung den Heilungsprozess?
Ja – jeder
kennt diese Triggermomente, wenn man an etwas erinnert wird. Die Geschichte ist
immer ein bisschen anders, sie wird immer anders wiedergegeben und oft kommen
auch wieder Details dazu, die man so weit verdrängt, die man noch gar nicht
aufgearbeitet hatte - dann sitzt man da und hört sich das an und denkt,
„stimmt, das war ja auch“. Ich glaube, manchmal kann es auch helfen, wenn eine
gute Recherche hinter dem Bericht steht oder dieser dadurch beeinflusst wird.
Wie bei der „Zeit“, die mit Opfern, Tätern oder jemandem, der dabei war,
spricht. Dann kommt da ehrlicher Input rein und es handelt sich nicht nur um
eine erzählte Geschichte, sondern jemand, der Gefühle ausdrücken kann, bezieht
zu etwas Stellung. Das kennt man von den meisten Podcasts nicht. Da muss man
sich mit dem zufrieden geben, was erzählt wird und das ist einfach grenzwertig.
Ich würde sagen, Berichterstattung kann helfen, ist aber auch gefährlich, je
nachdem wie emotional man gerade ist. Wenn es mir schlecht geht, würde ich
nicht auf dem Weg zur Arbeit eine Podcast Folge anhören. Das tut man nur, wenn
es einem gut geht. Das ist der Casus knacksus daran, dass jeder, der in so
einen Fall involviert ist, für sich selbst wissen muss, inwieweit es gut oder
schlecht ist, aber ich glaube, dass es in den meisten Fällen eher schlecht ist,
als gut.
Wie müsste
der ideale Umgang mit Berichterstattung in den Medien sein?
Viel
sensibler, in den meisten Fällen ist die Berichterstattung sehr reißerisch. Die
meisten wollen Details und Bilder abdrucken und die Geschichte soll sich am
Ende verkaufen. Die Leute lesen sich das nicht durch, wenn nur dasteht, dass
ein Familienvater seine Frau ermordet hat. Die Presse geht viel zu unsensibel
damit um. Sie versucht sofort, Kontakt mit den Opfern und den Angehörigen
aufzunehmen und das ist absolut grenzwertig. Sie sollte sich viel mehr
zurücknehmen und beim Wesentlichen bleiben. Es reicht, die Tatsachen, das, was
passiert ist, darzustellen. Es muss nicht detailliert ausgeschmückt werden.
Dazu, dass das jemals sensibler gehandhabt
werden wird, wird es nur niemals kommen. Dafür sind die Leute zu sehr
interessiert an dem Leid der Anderen. In 90 Prozent der Fälle kann man sehen,
wie der oder die Tote im Leichensack abtransportiert wird. Das sind Bilder, die
auch die Angehörigen sehen können – warum muss man genau solche Bilder zeigen?
Weil es eben mehr Menschen interessiert, außer den paar Angehörigen, die
dahinterstehen und die diese Bilder ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf
bekommen. Darüber denken die meisten nicht nach. Deshalb ist es auch so
schwierig, zu Opfern oder Angehörigen Kontakt aufzunehmen, weil diese wissen,
dass ihnen meistens die Worte im Mund verdreht oder Dinge anders dargestellt werden.
Worauf
könnten True-Crime-Konsumenten achten?
Man sollte
sich ins Bewusstsein rufen, dass das alles wahre Begebenheiten sind. Dass jeder
einzelne Fall, der erzählt wird, passiert ist und dass es sich in den meisten
Fällen um ganz normale Situationen und Menschen gehandelt hat. Im Prinzip kann
das jeden treffen, und wenn man so etwas hört, sollte man sich das bewusst
machen. Solche Dinge passieren jeden Tag, und man sollte rücksichtsvoller mit
seinen Mitmenschen umgehen. Die Bild-Zeitung ist so reißerisch. Wenn nur die
Hälfte der Menschen die Zeitung nicht mehr kaufen würde, müsste diese auch
umdenken und umstrukturieren. Die Nachfrage durch die Konsumenten ist immer so
eine Sache. Es gibt Präventionsangebote an Schulen für die Sicherheit im
Straßenverkehr, so etwas könnte es auch zum Thema True-Crime geben.
Dankeschön.
Im Jahr 2019 gab es folgende Tötungsdelikte:
Fahrlässige Tötung (619)
Totschlag und Tötung
aus verlangen (261)
Mord mit Zusammenhang
von Sexualdelikt (3)
Mord im Zusammenhang
von Raub (16)
Mord nach dem
Strafgesetzbuch Paragraph 2211 (216)
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2019 - Zeitreihen ab 2000 - Opfer nach Alter und Geschlecht (vollendet)
Ich glaube, die Wiege der True-Crime-Bewegung war die Sendung Aktenzeichen XY. Denn es verschafft dem Konsumenten schon eine Art Nervenkitzel, wenn die Verbrechen nicht in Manhattan, sondern um die Ecke passieren. Ich persönlich lehne dieses Format ab, besonders wenn alle Beteiligten (Opfer, Täter, Familien) noch am Leben sind. Es ist schon ein Unterschied, ob ich mir eine Sendung über das Ableben vom Ötzi ansehe oder ob es um ein Verbrechen geht, das in der letzten Woche geschehen ist.
AntwortenLöschenLG
Sabiene von www.sabienes-welt.de
Hallo, danke für dein Kommentar und deine Meinung. Aktenzeichen XY ist aber nichts negatives. Es hat ja einen Nährwert für die Gesellschaft. Wodurch oder warum es zu einem Hype gekommen ist, und ob es wirklich einer ist, geht es in Teil 2 auch und der kommt bald!
LöschenWow- danke für diesen Artikel. Ich habe mich immer gefragt, ob die Personen in den Fällen den Podcast selbst anhören oder die Artikel lesen. Man will sich gar nicht vorstellen wie schlimm es sein muss, falsche Informationen noch weiter verbreitet zu wissen. Hoffentlich schreiben die Betroffenen tatsächlich öfter an Podcaster, Journalisten etc, die die Geschichte verdrehen oder unsensibel darstellen. Freue mich auf den zweiten Teil. Lg Luisa von http://zungenspitzengefuehl.com/
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenDanke dir für dein Kommentar und fürs lesen! Jeder darf dagegen vorgehen, wenn er etwas sieht das gegen das Persönlichkeitsrecht verstößt. Es gibt den Pressekodex und das sich daran gehalten wird, gibt es den Presserat. Dort kann man beschwerden hinschicken die gegen den Pressekodex (wie Opferschutz) verstoßen. Leider kümmert dieser sich nicht um journalistische Arbeit in Podcast-Form, sondern für Printmedien. Das gehört aber auch dringend aktualisiert und an die Neuen Medien angepasst.
LöschenDas wusste ich nicht, aber danke für die Info! Oft weiß man ja leider nicht, dass die Infos vielleicht falsch sind... leider! Ich höre selbst nur Zeit Verbrechen und das kommt mir meist gut recherchiert vor, aber bei anderen vertraut man vielleicht darauf, obwohl keine große Recherche dahintersteckt. LG
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